Mein Weg in den Wald


Von Frauchens wahnwitziger Idee, mit mir in den Wald zu gehen

Ihr habt jetzt ein paar Kapitel meines Lebens gelesen und denkt wahrscheinlich: „Hach, was für eine herzige Familie!“, nicht wahr? Weit gefehlt, das kann ich euch bellen. Im zarten Alter von gerade mal sechs oder sieben Monaten ist mir in dieser Familie, speziell mit meinem Frauchen, etwas passiert, was ich meinem allerärgsten Feind nicht wünsche (wenn ich flauschiger und nie endender Quell unermesslicher Freude überhaupt Feinde hätte).

Nachdem ich nun die 1-km-Runde hinterm Haus nach wochenlanger, kleinschrittiger Arbeit und viel gutem Zureden seitens meines Frauchens erfolgreich beendet hatte (schaut mal hier: Und plötzlich wird die ganze Welt gruselig), dachten Frauchen und ich, mich könne nichts mehr schocken. Ich kannte Pferde, ich kannte Rinder, mittlerweile habe ich sogar Bekanntschaft mit Schafen gemacht – und auch wenn mir der Trekkerreifen immer noch ein bisschen suspekt war, traute ich mich irgendwann sogar, wenn auch einen Gang schneller als üblich, aber immerhin hocherhobenen Hauptes daran vorbeizugehen. Meine einsetzende Pubertät machte mich mutig, machte aus mir ein wildes Tier, machte mich zur Draufgängerin. Also dachte Frauchen, ich sei bereit. Es sei an der Zeit, dass ich nicht nur die Felder hinter unserer Hütte kennenlerne, sondern dass sie mir ein bisschen von ihrer Welt zeigt.

Da ich wuchs wie Unkraut hatte Frauchen mittlerweile ein neues, größeres Pennymobil gekauft. Meinte sie sicherlich gut, aber ich hasse das große, schwarze und stinkende Ding, und ich steige bis heute nur sehr ungern in meine Reisebox im Heck des Ungetüms  ein. Eigentlich steige ich gar nicht ein, sondern werde eingestiegen, sobald Frauchen nach stundenlangem Hoffen auf meine Freiwilligkeit der Geduldsfaden reißt, aber das wäre ein Kapitel für sich. Das gehört hier nicht her.

So, wir also rein ins Pennymobil, ein paar Minuten Fahrt und wir waren da. Die Heckklappe geht auf, ich steige aus… Heiliger Hundegott, was ist das denn? Noch mehr Felder und am Horizont Gassibäume. Hunderte von Gassibäumen. Frauchen nannte es Wald. In diesen Wald wollte sie mit mir. Frauchen liebt Wälder. Vom Parkplatz bis zum Waldrand waren es etwa 600 Meter, also rund zwei Stunden Fußmarsch. Spazierengehen dauert mit mir immer ein kleines bisschen länger, denn es gibt am Wegesrand so viel zu entdecken. Zum Beispiel hier, schau Frauchen, ein Grashalm! Und da, noch einer! Und noch einer! Frauchen, das sind ja zwei Hektar Wiese! Warte, ich muss kurz alle Grashalme untersuchen.

Ich glaube es nicht, hast du das gesehen? Ein Stöckchen im Gras! Ein Stöckchen! Warte, ich muss es untersuchen. Und zerkauen. Ey warte, warum wirfst du es weg? Es war ein schönes Stöckchen! Na gut, vielleicht finde ich noch eins. Und so viel Hundepipi überall, und Häufchen. Und die riechen so gut – warte, ich muss ein bisschen Duft auflegen. Was denn??? Warum denn nicht? Na gut, später. In einem unbeobachteten Augenblick.

So, nun zurück dazu, was an dem Wald einfach entsetzlich war. Wie ich so etwa 10 Meter Feldwegrand gründlichst erschnüffelt hatte und eigentlich ganz guter Dinge war, passierte es: Da! Ein Duft, den ich nicht kannte. Definitiv kein Hund, kein Pferd, kein Rind, kein Schaf, kein Trekkerreifen. Es war etwas Anderes, etwas Gruseliges, etwas, das es in meiner kleinen Welt bisher noch nicht gab. Ich stand wie versteinert da, wusste nicht, was ich tun sollte. Mein Instinkt riet mir zur Flucht, Frauchen versuchte parallel dazu, mich zum Weitergehen zu überreden. Ich rang mit mir, ich wusste nicht weiter. Das unvermittelte Knacken im Busch nahm mir die Entscheidung ab. Ich rannte um mein Leben. Selten das stinkende Pennymobil so gerne gesehen wie heute. Ich war in Sicherheit. Ich hatte überlebt.

Dass mein Frauchen eine ausgeprägt sadistische Ader hatte, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Am nächsten Tag fuhr sie wieder mit mir an den Ort des Grauens. Diesmal blieb ich gleich neben dem Pennymobil stehen, damit der Rückweg nicht so weit war, falls es wieder knackte. Doch Frauchen ließ nicht locker, überredete mich, Schritt für Schritt den nicht enden wollenden Feldweg zu beschreiten. An der Stelle, wo es bei meinem letzten Besuch so fürchterlich geknackt hatte, stutze und horchte ich kurz – so etwa 15 Minuten. Doch es war alles still. Also ging ich ein kleines Stück weiter. Ganz langsam, angespannt und immer bereit zur Flucht. Es war mittlerweile spät im Jahr, es war schon dämmerig, Nebelschwaden zogen über die Felder, Greifvögel schrien über meinem Kopf auf der Suche nach Nahrung. Auf der Suche nach mir! Und… Heimweg! Im Schweinsgalopp. Aber Frauchen war zufrieden mit mir. 6 Meter weiter als gestern. Wenn ich weiter solche Fortschritte mache, schaffen wir die Waldrunde vielleicht, bevor ich zu alt und gebrechlich werde für so große Gewaltmärsche. Jeden Tag fuhr Frauchen mit mir an diesen furchtbaren Ort. Immer und immer wieder quälte sie mich. Ich zitterte schon vor Angst, wenn das Pennymobil aufging und ich sah, wo wir waren. Frauchen hat ständig versucht mir einzureden, wie super es im Wald sei, wie viel Spaß ich haben würde. Doch meine Zweifel hielten sich hartnäckig und erhielten durch immer neue Eindrücke unentwegt neue Nahrung.

Etwa sechs Wochen hat es gedauert, bis wir die rund 600 Meter geschafft hatten und überhaupt erst einmal im Wald ankamen. Immer kam etwas dazwischen: ein Geräusch, ein Geruch, ein gruseliger Schatten, ein unerwarteter Windhauch, ein Radfahrer, ein Jogger, ein Rentner oder andere zwielichtige Gestalten. Versteht mich nicht falsch: Ich liebe alle Menschen, aber solche, die sich freiwillig und mit Freude in so unübersichtlichen und gefährlichen Gefilden aufhalten, waren mir suspekt. Frauchen war mir suspekt, denn die war die allerschlimmste von allen. Daher habe ich zu dieser Zeit auch gar nicht auf sie gehört. Kommt eh nix Gutes dabei rum, wenn sie „Komm!“ ruft! Hinterher will sie wieder mit mir in den Wald… Nein, nein, lieber schnell bei jedem „Komm!“ wie ein Rennpferd in die entgegengesetzte Richtung laufen. Das hatte ich schnell begriffen. Aber das wäre wieder ein eigenes Kapitel. Ich möchte an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass ich, wenn der Große mal dabei war, überall problemlos mit hinging. Ganz zur Verzweiflung von Frauchen. Leider hatte der Große selten Gelegenheit, mit uns die Welt zu erkunden, denn der musste jeden Tag lange und schwer arbeiten, um das Geld zu verdienen, das zur Begleichung aller von mir angerichteten Schäden dringend benötigt wurde. Schon wieder ein Thema für ein neues Kapitel. Dieser Blog wird nie fertig.     

Irgendwann kam ich nun nicht mehr umhin und musste mich dem Wald stellen. Wir hatten sie geschafft, die 600 Meter. Ich stand zum ersten Mal an besagtem Waldrand. Ich zitternd vor Angst mit Augen so groß wie Pflastersteine, meine Schwanzspitze kitzelte mich am immer noch fast nacktem Bauch. Frauchen hingegen ist vor Freude fast geplatzt. Was stimmt mit dieser Frau nicht?

Aber Moment… was ist das denn? Sind das Blätter auf dem Waldboden? Blätter kenne ich! Wisst ihr noch? Die Partyhütchen, wenn ich einen Laubhaufen vollgepieselt habe (Das Thema Stubenreinheit)? Hey, Laub ist nicht gefährlich, das mag ich! Laub macht Spaß! Laub bedeutet Party! Oh, schau Frauchen! So viel Laub! Und das riecht so toll! Das riecht wie mein Garten, nur in viel, viel größer! Und alles wirbelt durcheinander! Ob ich die Blätter fangen kann? Juhuuu!

Ach nein, Stop! Ich hatte mir ja vorgenommen, den Wald doof zu finden. Also… Rückweg antreten, bitte! Aber ich ziehe in Erwägung, beim nächsten Besuch den Weg hierher in weniger als zwei Stunden zurückzulegen, um schnell beim Laub zu sein. Falls du irgendwann noch mal hierher kommen möchtest, Frauchen…  

Wenn ihr gerne lesen möchtet, was Frauchen zu diesen anstrengenden Wochen sagt, schaut doch mal hier vorbei: Der Weg ist das Ziel.

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