Neun Tage nach der Diagnose
Neun Tage ist es nun her, dass wir erfahren haben, dass Penny an einer Niereninsuffizienz leidet, die vermutlich ihre Ursache in Pennys Leishmaniose-Infektion hat. Wir sind immer noch sehr traurig darüber zu wissen, dass Pennys Zeit langsam, aber sicher abläuft. Wir hoffen natürlich, ihren Zustand so lange wie möglich zu stabilisieren und ihr so viel Lebensqualität zu ermöglichen, wie wir können, doch wir können die Augen nicht davor verschließen, dass sich einmal geschädigtes Nierengewebe nicht mehr regenerieren wird. Es kann nicht mehr besser werden.
Seit acht Tagen bekommt sie einen ACE-Hemmer, der ihren Blutdruck senken und ihre Nierendurchblutung anregen soll. Die Folge davon ist, dass sie unheimlich viel trinkt. Sie hat immer Durst, beim Gassi muss ich, wenn ich eine größere Runde mit den Mädels plane, Wasser mitnehmen, um zu verhindern, dass sie dehydriert. Durch die viele Flüssigkeitszufuhr und die angeregte Nierentätigkeit muss sie natürlich auch öfter raus als sonst. Das klappt eigentlich ganz gut, vor allem da ich noch im Homeoffice arbeite. Wie wir im Büro mit der neuen Situation umgehen, wird sich noch zeigen. Im Moment gehen wir nur Schritt für Schritt vorwärts.
Vor ein paar Tagen war ich sehr traurig. Ich habe morgens bemerkt, dass sich Penny nachts im Schlaf eingenässt hat. Sie hatte sich nicht bemerkbar gemacht, wahrscheinlich hat sie es noch nicht einmal gemerkt. Dass sie die Nacht in ihrem Pipi verbracht hat, hat ein Stückweit mein Herz gebrochen. Sie ist ein unheimlich reinlicher Hund und schämt sich sehr, wenn ihr ein Malheur passiert. Zum Glück ist es bisher nur einmal vorgekommen und wir geben nun ganz besonders acht, dass sie sich noch einmal löst, bevor wir alle ins Körbchen gehen (sie neigt dazu, sich im Garten ablenken zu lassen und zu vergessen, was sie eigentlich wollte, so dass sie manchmal unverrichteter Dinge wieder reinkommt).
Was uns hilft, den Schock über Pennys Krankheit zu verdauen, ist… Penny selbst. Sie ist unheimlich fröhlich und gut gelaunt. Sie freut sich unglaublich über die Sonne nach den langen Schlechtwetter-Wochen, sie rennt, sie tobt, sie spielt mit Kira, erzieht sie (obwohl Kira eigentlich auch schon erwachsen ist), sie setzt sich durch, ist mental in den letzten Monaten unheimlich stark geworden. Der ursprünglich so zurückhaltende Hund hat allein in der letzten Woche sowohl den Heizungsnotdienst als auch den Amazon-Paketdienst vom Grundstück gejagt. Das war noch vor einem Jahr undenkbar. Sie genießt die Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wird. Die hat sie zwar schon immer bekommen, aber wir geben uns Mühe, noch einmal eine Schippe draufzulegen. Wenn ich mal einen Durchhänger habe und traurig oder ängstlich bin wegen der Situation, ist sie es, die kommt und mich tröstet.
Und plötzlich merkt man, wer wirklich da ist, wenn man Freunde braucht
Penny tröstet mich, dabei sollte ich es sein, die für sie stark ist. Doch manchmal habe ich das Gefühl, dieser Hund hat so viel mehr Kraft, Stärke und Liebe als wir alle zusammen. Und das bringt mich zu einem Punkt, der mich in den letzten Tagen zusätzlich zu der Sorge um sie sehr belastet hat: mein so genannter Freundeskreis. Bisher habe ich die Menschen, die ich kenne, in drei Kategorien unterteilt:
- Freunde und Familie
- Bekannte und Kollegen
- Internetbekanntschaften
Das ist so, das war so und ich dachte, das wird auch immer so sein. Doch schon vor Pennys Krankheit hatte ich lange Zeit das Gefühl, dass dieses Konstrukt nicht mehr zu meinem Alltag passt, dass ich mich zunehmend unwohl und falsch aufgehoben fühle. Ich habe es so hingenommen – aus Gewohnheit, aus Bequemlichkeit, aber auch aus Unwissenheit, wo ich mein Gefühl genau lokalisieren kann. Oft bedarf es einen konkreten Anlass, sein bisheriges Leben und seine Gewohnheiten in Frage zu stellen. Pennys Diagnose und meine furchtbare Angst davor, sie nicht nur bald zu verlieren, sondern sie bis dahin leiden zu sehen, waren so ein Auslöser für mich.
Ich habe es eigentlich allen Menschen, zu denen ich regelmäßig Kontakt habe, mitgeteilt – zum Teil über persönliche Nachrichten, zum Teil über soziale Netzwerke. Und diese Mitteilung über meine großen Sorgen hat mir die Augen geöffnet und mich zur Neukategorisierung meines Umfelds veranlasst. Gerade die, die ich meine engsten Freundinnen nennen soll, haben es nicht geschafft, mir überhaupt auch nur zu antworten oder auf irgendeine Weise zu reagieren. Eine weitere hatte wenigstens einen Satz für mich über, bevor sie sich – wie immer in den letzten zwei Jahren – bei mir über ihre eigenen Probleme ausgekotzt hat. Ein paar Bekannte haben sich nett erkundigt und uns alles Gute gewünscht, doch die meisten und empathischsten Nachrichten kamen tatsächlich von Personen, denen ich bisher offenbar viel zu wenig und Beachtung geschenkt habe, obwohl sie wirklich Interesse an uns haben. Dieses Interesse, der Zuspruch, der Trost, der Austausch taten mir gut, und der Kontrast zu dem, was eigentlich nur noch meine Energie raubt, mich traurig macht und enttäuscht, war so immens, dass ich einen großen Schnitt gemacht habe und neu sortiert habe. Ein komisches Gefühl, wenn die ganze Lebensordnung plötzlich auf den Kopf gestellt scheint, doch je älter ich werde, desto wichtiger ist mir die Qualität eines Kontakts. Durch einen Schicksalsschlag vor zweieinhalb Jahren habe ich unvermittelt begreifen müssen, dass wir alle vielleicht nicht mehr so viel Zeit haben, wie ich denken. Und ich habe einfach das Gefühl, keine Zeit mehr zu haben, wochenlang auf ein einziges Feedback zu warten. Ich habe keine Zeit mehr über für Menschen, in dessen Leben ich offenbar nicht auch nur annähernd dieselbe Rolle spiele wie sie in meinem. Eine schmerzliche Erfahrung, aber sie hat mich weitergebracht, und es fällt mir jetzt leichter, mich auf mich, Penny und mein Rudel zu konzentrieren.
Ich möchte hier auf keinen Fall falsch verstanden werden. Ich bin auf keinen Fall der Typ, der 24/7 auf WhatsApp oder auf anderen Messengern hängt. Aber wenn ein Freund oder eine Freundin in Not ist oder Kummer hat, würde ich persönlich es nicht übers Herz bringen, wochenlang nicht zu reagieren oder ihn oder sie nur zu kontaktieren, um von mir selbst zu reden, ohne auch nur eine Frage zu diesem Kummer zu stellen. Und ich möchte nur noch mit Menschen befreundet sein, die diese Einstellung mit mir teilen.
Wie geht es nun bei uns weiter?
Wir versuchen, weiterzumachen wie immer, nur bewusster und intensiver. Pflichten werden weiterhin erledigt, der Job wird auch nicht unter der Situation leiden, aber ich achte sehr darauf, dass die Mädels einen wunderbaren Frühling zusammen erleben und dass ich bei Kräften bleibe. Wir alle schaffen das. Zusammen. Für Penny.